In den schwarzen Gettos Amerikas war die Orgel, zusammen mit der Gitarre, ein besonders beliebtes Instrument, etwa in der Kombination von Orgel und Gitarre … (jeweils mit Schlagzeug, aber ohne Bass, weil ja die Basslinien von den Füßen der Organisten bzw. auf den Bassregistern der Orgel gespielt werden können)“, weiß Joachim-Ernst Berendt in seinem Standardjazzbuch. Die Geschichte ist weitergegangen seither, regional erweitert hin auch nach Europa und in ihrer historischen Entwicklung. Werner Neumann weiß das natürlich und verfolgt die Entwicklungen. Als Lehrender an vielen Hochschulen, Gitarrenprofessor in Leipzig und langjähriger Studiendekan für die Fachrichtung Jazz an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy hat sich der Mann vom Jahrgang 1964 um die nächste Generation verdient gemacht.
In immer neue Bandkonstellationen hat er seine stupenden Fähigkeiten eingespeist als Sideman oder als Leader. Er habe noch den Überblick, meint er schmunzelnd ob dieser Vielzahl und will weder auf Jazz noch auf Rock verzichten. Am Jazz mag er, was immer wieder Neues aus den Stoffen entsteht, beim Rock bleibt für ihn der Song im Zentrum. Neumann mag dieses Songorientierte und wenn dabei nicht mit Anlauf durch die Wand gegangen wird. Ihm ist es wichtig, eine Mischung aus beidem zu kreieren, wie man sie so noch nicht gehört hat. Das pur epigonale Andocken an Traditionen ist Werner Neumann zu wenig. Großes Bindeglied zwischen beiden Genres ist für ihn Frank Zappa, den er als enorm anregenden Bruder im Geiste begreift. Mit Zappas Kompagnon Napoleon Murphy Brock ist er aufgetreten, mit seiner Band „Drei vom Rhein“ spielte Werner Neumann immer wieder eigene Interpretationen von Zappa-Stücken, und er tourte mit den „Grand Sheiks“, die als Deutschlands führende Zappa-Tribute-Band gelten. Dabei ist Werner Neumann viel zu gut, um Ahnen schlicht zu zitieren, vielmehr entwickelt er das Verinnerlichte zu etwas Eigenem, ohne dabei blenden, dröhnen oder mit Virtuosität überrumpeln zu müssen.
In seinem aktuellen Trio „WeNeT“ mit Organist Steffen Greisiger und Schlagzeuger Tom Friedrich aus der nächsten Generation kommt dieses abgezockte Understatement wundervoll zur Geltung. Alles behält seine hintersinnige Beiläufigkeit und vergisst dabei auch den Humor nicht.
Diese Band hat viel zu viele Ideen, um einzelne Gedankenblitze totreiten zu müssen. Und überhaupt: Es ist eine gute Zeit für die Gitarre im Jazz. Jahrzehntelang galt sie in diesem Kontext als schwieriges Instrument.
Nun ist sie in vielen Spielarten zurück, nachdem sie der einstige Jazzrock uniformiert und auch trivialisiert hatte.
Schon immer liebten große Gitarristen wie Wes Montgomery, John Abercrombie oder John McLaughlin ihre Orgeltrios und setzten Maßstäbe für dieses Format. John Scofield veröffentlichte mit Larry Goldings und Jack DeJohnette eine opulente Hommage an Tony Williams‘ Band „Lifetime“.
Hinter George Benson schnaufte die Orgel von Brother Jack McDuff, Terje Rypdal lässt seine Soundflächen abheben vor der Hammondorgel, Marc Ribot macht es ironisch mit seinen Los Cubanos Postizos … Das alles spukt im Hinterkopf, wenn „WeNeT“ ihr kurzweiliges Programm abrollen lassen.
Ihre Musik macht Spaß, fusioniert Tradition und Aufbruch, Amerika und Europa, Jazz und Rock, bleibt bei sich, wenn sie voller Finten ihre Fährten legt und ein Stück aus dem anderen hervorgehen lässt. Das ergibt ein facettenreiches Album wie aus einem Guss, schwelgerisch und losgehend, verträumt und attackenreich, diszipliniert und spontan, traditionell und modern, subtil und kompakt. Das zitiert Radiohead und Strawinsky, Volkslied und Lagerfeuergitarre, lässt Jon Lord, Billy Preston und Jimmy Smith aufscheinen und hechelt doch nicht den Altvorderen hinterher.
Orgelspieler Steffen Greisiger hat bei Richie Beirach studiert und auch für Ballett, Improtheater und Film gespielt und geschrieben, daher sein Gespür für Dramatik und das Rhapsodische. Er weiß, wann er zur Stelle sein muss mit unverbrauchten Steigerungen und wie man durch das Hinzufügen von Details Spannung schafft. Als Solist ist er kein Blender, als Sideman eine sichere Bank, nicht umsonst erhielt er in Amerika den John Williams Award für Film Scoring.
Schlagzeuger Tom Friedrich studierte bei Heinrich Köbberling und Michael Wollny, wurde einmal bundesministeriell als „Talent des Jahres“ ausgezeichnet und mehrmals auch bei „Jugend jazzt“. Er spielte in Big Bands und mag das Abenteuerliche kleiner Formationen. Er weiß, wie man mit Nuancen einer Band ein Rückgrat gibt, wie man Forcierungen einsetzt und den Puls am Laufen hält. Und er weiß, wie man das Dezente zu einer Qualität macht, wie sie das Zusammenspiel mit Gitarre und Orgel laut Joachim-Ernst Berendt verlangt, das „eine spezielle Schlagzeugspielweise erfordert – einfach und dienend.
– Ulrich Steinmetzger